Pushbikers Winter Camp
Ein kleine silberne Kugel aus Alufolie. Spontan gefertigt, statt eines Balls. Sie liegt auf dem Deckel einer Flasche. Die Flasche steht auf einem Tisch. In sicherer Entfernung aufgereiht dahinter: eine Gruppe junger Leute. Was hat das mit Radsport zu tun?
Wir sind in einem Konferenzzimmer des Hotels Bayerischer Hof in Prien am Chiemsee. Die Temperatur im Raum steigt, ebenso die Lautstärke. Es sind zwei silberne Kugeln, zwei Flaschen und zwei Gruppen. Und nun wird die Situation klarer: hier findet ein Wettbewerb statt. Jeder der Anwesenden soll mit ausgestrecktem Arm, der nicht bewegt oder in der Höhe angepasst werden darf, auf die kleine Kugel zulaufen und sie vom Flaschenhals herunter schnipsen. Kontrolliert wird das Ganze von zwei bärtigen Männern, die sich hinter den Tischen positioniert haben. „Das kann doch nicht wahr sein“. „Du schaffst das“. „So – auf der Höhe des Gürtels. Jetzt nochmal“ …. „Neeeeeiiinnn“ … „Loooossss“ ….“Aaaaaahhhhh“. Die Gruppe rechts liegt klar in Führung, doch auf einmal hackt`s. Wieder und wieder muss einer der Jungs laufen, der Ball fällt nicht, oder er fällt wegen der Vibration am Tisch zu früh, oder der Arm hat sich doch bewegt. Es ist wie verhext und will nicht gelingen. Die andere Gruppe holt auf. Eine Person nach der anderen schnipst die Kugel herunter, unter Gejubel und Anfeuerungs-Rufen. Was es jetzt braucht? Konzentration. Mentale Stärke. Fokus auf den Punkt. Darum geht es hier also, das wird schmerzlich klar. Als es nach zwei Runden unentschieden steht zwischen den beiden Gruppen – nennen wir sie Pushbikers I und Pushbikers II – kommt es zum alles entscheidenden Duell. Jede Gruppe darf eine Person auswählen, die stellvertretend für alle antritt. Die Entscheidung fällt nicht schwer, hat sich doch herauskristallisiert, wer die Kugel schnell zu Fall gebracht hat. Der Geräuschpegel sinkt, die Spannung steigt und alle Teilnehmer gruppieren sich um die zwei Auserwählten herum. Countdown. Jetzt gilt es. Beide laufen los, wie menschliche Roboter mit nach vorne gestrecktem Arm. Schon beim Anlauf variiert die Geschwindigkeit, wieder wird angefeuert, zwei Schritte noch – und einer der beiden schafft es gleich beim ersten Mal. Die Kugel fällt, der Jubel ist groß. Lachende Gesichter, gelöste Anspannung, Zufriedenheit, kindliche Freude.
Das Spiel ist beendet – das Gefühl bleibt.
Willkommen 2022
Und genau so beginnt die Geschichte der Saison 2022 mit einer Silberkugel aus Alufolie. Momente wie diesen kann man nicht planen. Sie passieren einfach, wenn es passt. Ein Gedanke, mit dem man sich schwer tut, wenn man erfolgreich sein will, wenn die Leistung als Sportler und als Team doch eigentlich messbar ist im Rennmodus. Sich davon ein wenig freisprechen, das war unser Versuch im Winter Camp. Fahrräder? – Fehlanzeige. Nur der Ergometer, Langlauf- und Tourenski, Schneeschuhe, Laufschuhe und Zeit für Austausch und Gespräche, die auch tiefer wurden. Die Fahrer und Mitarbeiter zusammen zu holen, um sich gegenseitig kennenzulernen, das konnten wir in den vergangenen zwei Jahren nicht umsetzen. Dafür nun an diesem Wochenende im frostigen Januar.
„Am meisten Spaß haben mir die Spiele zur Teambildung gemacht, bei denen wir unsere Beziehung zueinander und das gegenseitige Vertrauen gestärkt haben.“
(Pippo)
„Wir haben versucht jede Minute optimal zu nutzen, um uns gegenseitig besser kennen zu lernen. Um sich diese Zeit zu ermöglichen und den Fokus dafür nicht zu verlieren, haben wir auch ganz bewusst darauf verzichtet, Fahrräder zum Camp mitzunehmen.“
(Rupert)
Winter Wonderland
Und dann hatten die Pushbikers riesiges Glück: perfektes Winter-Wetter mit Schnee, trockener Kälte und blauem Himmel. Zeit, um sich nicht aufs Rad zu schwingen, sondern in drei Gruppen die Berge in Reit im Winkel zu Entdecken: beim Langlaufen und Touren gehen sowie mit Schneeschuhen und Stöcken. Wieder anders zusammengestellte Gruppen, andere Gesprächspartner, neue Erfahrungen, grandiose Kulisse. Und wer zu weit wandert, den bestraft die Uhr des Zeitplans: die Gruppe Schneeschuhe musste sich kurzerhand per Gondel wieder nach unten bewegen, damit der Rest der Truppe nicht zu lange warten und das Nachmittagsprogramm nicht auf dem Spiel stand. Denn da ging es um Einzel- und Gruppengespräche, das Liegestützen-Duell zwischen Fahrer und Sportlicher Leitung, ein fingiertes englisches TV-Interview und eben um zwei silberne Kugeln. Ganz nebenbei wurde beim Abendessen noch besprochen, wie man aus Laurin und Max eine Rapper Band machen und der Radsport dort miteinbezogen werden kann.
Apropro Abendessen: das Essen an sich geht bei Sportlern zumeist ziemlich schnell. Buffet ist angerichtet, wird umringt, abgetragen – und schon ist fast nichts mehr übrig. Bis Nachschub eintrifft, und einen als Beobachter das Gefühl von „Und täglich grüßt das Murmeltier“ überkommt. Das Gute daran ist: es bleibt mehr Zeit für Gespräche ohne gleichzeitige Nachrungsaufnahme. Und die kamen bei den Fahrern uns Mitarbeiter nicht zu kurz. Reihum wurde auch an den Tischen die Sitzposition gewechselt, manche sah man lang und intensiv reden, am nächsten Tisch war dafür das Gelächter umso lauter.
„Am meisten genossen habe ich es, Zeit gemeinsam mit vielen tollen Leuten zu verbringen – seit sehr langer Zeit mal wieder in der Gruppe. Es war wunderschön, jeden Abend mit anderen Personen am Tisch zu sitzen und gemeinsam zu lachen.“
(Philip)
„Tatsächlich haben mich zwei lange intensive Gespräche spät abends (einmal über Geschichte, einmal über gefühlten/ gelebten Alltagsrassismus) am meisten begeistert. Ich finde es super, dass das Durchschnittsalter gestiegen ist und die Gesprächsthemen umfangreicher geworden sind.“
(Daniel)
„Ich habe gemerkt, dass ich mich mehr ausdrücken und viel mehr mit den jungen Leuten reden muss, von denen ich weiß, dass sie von mir lernen wollen. Dies hat mir nicht nur große Freude bereitet, sondern auch einen weiteren Schritt in meiner Entwicklung als Teamleiter bedeutet.“
(Pippo)
„Unsere Teamdynamik ist nochmal eine ganz andere nach den paar Tagen !“
(Laurin)
Am Ende des Pushbikers Winter Camps fasst der Sportliche Leiter in aller Kürze zusammen, dass er zum momentanen Zeitpunkt der Saison sehr zufrieden mit der Entwicklung der Mannschaft ist. „Die Selbstmotivation der Fahrer wirkt sich wieder auf die Motivation der Mitarbeiter aus, darauf können wir gut aufbauen.“ „Ich bin schon etwas erschöpft“, gibt Paul Rudys zu, „weil es doch anstrengende Tage waren mit vielen Eindrücken. Aber ich bin auch mit dem sehr guten Gefühl abgereist, dass wir eine gute Saison zusammen haben werden. Ich kann es kaum abwarten, bis es endlich losgeht.“
Und das Fahrrad? „Hat mir am Ende doch ein bisschen gefehlt“, so Daniel Bichlmann. Mitte Februar geht es weiter beim nächsten Trainingscamp, und dann dürfen in italienischen Gefilden wieder Kilometer und Höhenmeter gesammelt werden. Benvenuti nel mondo dei Pushbikers!
Photos | Maloja Pushbikers, Urs Golling. Silberne Kugel | Anregung von Kristina Klier
Road
Road